Loslassen lernen

Darauf hat Deutschland gewartet: Mit dem Lob der New York Times für die RTL-Serie “Deutschland 83” und dem Ritterschlag ihrer Ausstrahlung im US-Kabelfernsehen scheint das Goldene Zeitalter des Fernsehens endlich auch bei uns anzubrechen, wie David Denk für die Süddeutsche Zeitung schreibt.

Deutschland-83

Natürlich ist es eine schöne Ohrfeige für die Öffentlich-Rechtlichen, dass der “Spagat zwischen Konventionalität und Anspruch”, der “Deutschland 83” offenbar gelingt, ausgerechnet von RTL produziert wurde, dem ehemaligen Kommerz-Schmuddelkind der deutschen Fernsehlandschaft, auf das die wohlmeinenden Redakteure von ARD und ZDF so gern herabsehen.

Den Schlüssel zum Erfolg sieht David Denk – wieder einmal – in der Emanzipation der Autoren:

“Wenn die Redaktionen, vor allem bei den Öffentlich-Rechtlichen, vom Boom der Qualitätsserie nachhaltig profitieren wollen, müssen sie loslassen, vertrauen lernen. Denn Serien-Fernsehen ist kein Redakteurs-Fernsehen – Serien-Fernsehen ist Autoren-Fernsehen.”

Diesen Satz wünscht man sich dutzendfach großformatig ausgedruckt an die Wände deutscher Redaktionszimmer genagelt. Denn dann steht dem schönen neuen Serienzeitalter auch in Deutschland nichts mehr im Weg.

Von der Seifenoper zur Kunstform

Während sich die inhaltliche Diskussion in Deutschland nach wie vor um die Frage dreht, wie man auch in unserer Fernsehlandschaft horizontal erzählte Serien mit nicht uneingeschränkt sympathischen Hauptfiguren erzählen könnte, geht die Entwicklung der Serien in den USA bereits einen Schritt weiter, wie Matt Zoller Seitz in einem äußerst lesenswerten Artikel auf Vulture zeigt.

Die Renaissance der Fernsehserie wurde letztlich durch das Aufbrechen der in sich geschlossenen Episodenstruktur hin zu staffelübergreifender, horizontaler Erzählweise ausgelöst, die es ermöglicht, wesentlich komplexere Geschichten und tiefere Figurenentwicklungen zu erzählen. Erst dadurch konnte das künstlerisch bis dato eher belächelte Erzählformat Fernsehserie eine erzählerische Kraft entfalten, die an die der besten Romane heranreicht.

Allerdings hat sich schnell gezeigt, dass die horizontale Erzählweise im Umkehrschluss auch bedeutet, dass man eine Serie nicht mehr beliebig lang, open-end, fortsetzen kann. Denn wenn es eine horizontale Entwicklung der Figuren gibt, dann muss die auch irgendwann zu einem Ende kommen, wenn es nicht hanebüchen werden soll. Weiterlesen

Netflix als Hilfeschrei

Das mögliche Eintreten von Netflix auf den deutschen Markt wird ja fast so sehr herbeigesehnt, wie das Erscheinen des Heilands höchstpersönlich. Warum eigentlich?

Thomas Lückerath hat auf DWDL einen ausführlichen Artikel zum Netflix-Hype in Deutschland veröffentlicht. Darin macht er klar, dass die hohen Erwartungen sich aller Voraussicht nach nicht erfüllen werden. Das liegt zum einen daran, dass auch Netflix für ein gutes deutsches Angebot auf Lizenzen angewiesen ist. Und viele dieser Streaming-Lizenzen sind für den deutschen Markt schon an Wettbewerber vergeben, angefangen von Sky über Maxdome und Watchever bis hin zu Amazon Prime. Dass Netflix in Amerika ein gutes Angebot an Serien und Spielfilmen hat, bedeutet also noch lange nicht, dass das auch in Deutschland der Fall wäre.

Im Übrigen ist das Angebot von Netflix auch in den USA nicht so gut, wie man beim sehnsüchtigen Blick über den Atlantik gerne vermutet. Wer Zugang zu einem amerikanischen Netflix-Account hat, weiß beispielsweise, dass sämtliche HBO-Serien nicht auf Netflix zu finden sind.

In der Tat haben wir mit Maxdome, Watchever, Entertain und neuerdings auch Amazon Prime bereits ein gutes Angebot an Streaming-Anbietern. Der Eintritt von Netflix in den deutschen Markt wird dieses Angebot bestenfalls ergänzen – eine Revolution wird es nicht.

Lückerath stellt völlig richtig fest, dass der große Hype um Netflix sich wohl weniger aus der Sehnsucht nach einem gutem Streaming-Angebot nährt als vielmehr in der Hoffnung, dass dann auch in Deutschland bessere Serien produziert werden. Dabei hat Netflix auf diesem Gebiet bislang lediglich mit “House of Cards” große Aufmerksamkeit erregt, die meisten der hochgelobten Serien stammen nach wie vor von Pay-TV-Sendern. Und ob Netflix überhaupt auch Serien für den deutschen Markt produzieren wird, steht noch völlig in den Sternen. Lückerath schließt daher:

Wunder vollbringen kann auch Netflix nicht. Je intensiver man sich auf diese Spurensuche einlässt, desto deutlicher wird am Ende: Die deutsche Hoffnung auf Netflix ist ein Hilfeschrei. Nicht Netflix ist so unglaublich gut — das deutsche Fernsehen nur oft so unfassbar schlecht.”

Was das deutsche Publikum will ist vor allem ein höheres erzählerisches Niveau im Serienbereich. Das können – oder wollen – die deutschen Free-TV-Sender aber bislang nicht bieten, auch wenn in letzter Zeit ein wenig Bewegung in den Markt zu kommen scheint.

Eine deutsche Antwort auf den Netflix-Erfolg ist also keine technische Frage. Es ist eine Frage des Storytellings. Darauf sollten sich die Anstrengungen konzentrieren. Eigene serielle Produktionen sind der Schlüssel zum Erfolg des Fernsehens dieser Tage.”

Lückerath hat Recht: die Bedeutung von eigenproduzierten Serien ist durch das Abflauen der Casting- und Reality-TV-Welle so groß wie lange nicht mehr. Der einstige Marktführer RTL kann ein Lied davon singen, aber auch die anderen Sender haben sich viel zu lange auf ihren Quoten-Lorbeeren ausgeruht.

Trotzdem gibt es bei allen großen deutschen Sendern bislang bestenfalls zaghafte Versuche, in die schöne neue Serienwunderwelt aufzubrechen. Das ist zu wenig und vielleicht auch schon zu spät.

 

Zwei verschiedene Welten

Alle Welt redet derzeit über Netflix und “House of Cards” – aber wie viele Menschen gucken die Serie tatsächlich? Auf Sat.1 war sie jedenfalls ein veritabler Flop, was den ein oder anderen Fernsehkritiker prompt an den Zuschauern verzweifeln ließ.

Tatsächlich ist es aber auch in den USA so, dass Serien wie “House of Cards”, “Girls” oder “True Detective” zwar die Berichterstattung beherrschen, von den Zuschauerzahlen her aber längst nicht an populäre Network-Serien wie “Navy CIS” herankommen, wie Derek Thompson in einem lesenswerten Artikel für den “Atlantic” feststellt.

Thompson bringt es sehr gut auf den Punkt, wenn er schreibt, dass die Welt in der Filmkritiker leben, eine ganz andere ist als die der Menschen, die immer noch in sehr großer Zahl konventionelle Fernsehserien im linearen Fernsehen ansehen – über die diese Kritiker wiederum so gut wie nie etwas schreiben.

Allen kulturpessimistischen Untergangsprognosen zum Trotz kann man nur sagen: das war schon immer so. Was neu ist, ist, dass es Fernsehserien gibt, die Thema der Kulturkritik sind. Und das ist doch immerhin schon mal eine Verbesserung.

Is House of Cards Really a Hit? - Derek Thompson - The Atlantic 

Anonymus über »Die ausbleibende Revolution«

Auf seinem Blog d-trick hat Dietrich Brüggemann ein 32-seitiges Papier eines unbekannten Autors mit dem Titel “Die ausbleibende Revolution” veröffentlicht. “Eine Analyse, was die Qualität der neuen US-Serien eigentlich ausmacht und warum genau diese Qualität im deutschen Fernsehen auf unbestimmte Zeit nicht zu sehen sein wird”, lautet die Einleitung des Aufsatzes, die den Inhalt gut auf den Punkt bringt.

Der Autor, angeblich selbst Drehbuchautor, spart in seiner Analyse nicht an beißender Kritik an deutschen Fernsehsendern und ihren Programmverantwortlichen. Verständlich, dass er da lieber unbekannt bleiben möchte und stattdessen unter dem Pseudonym “DJ Frederiksson” firmiert.

Die Analyse selbst ist scharfsinnig und kenntnisreich und liefert einen sehr guten Überblick über die Situation auf dem deutschen und internationalen Serienmarkt. Man hofft inständig, sie möge Pflichtlektüre in deutschen Fernsehredaktionen und Intendantenzimmern werden.

Umso bedauerlicher ist es, dass der Autor trotz seiner im Kern zutreffenden Analyse die Unterschiede zwischen Sparten- und Mainstream-Programmen ignoriert und damit so unterschiedliche Serien wie “Breaking Bad” und “Sherlock” in einen Topf wirft. So großartig “Breaking Bad” in künstlerischer Hinsicht auch ist – eine der “erfolgreichsten Serien aller Zeiten” war die Serie eben nicht, jedenfalls nicht nach Zuschauerzahlen. So wie man im Kino anerkennen muss, dass es mit Arthouse und Mainstream zwei völlig unterschiedliche Märkte gibt, muss man das auch für das Fernsehen akzeptieren.

Autorenserien wie “Breaking Bad”, “Mad Men” oder “The Wire” sind nicht nur bei uns sondern auch in den USA und überall sonst nur bei einem kleinen Nischenpublikum erfolgreich – ganz egal wie viel Raum die Diskussion über sie in den Feuilletons auch einnimmt. Derartige Serien von deutschen Free-TV-Sendern zu fordern, egal ob privat oder öffentlich-rechtlich, ist einfach nicht hilfreich. Es gibt einen Grund, warum diese Serien im Auftrag von Pay-TV-Sendern entstehen, für die, wie “Frederiksson” völlig richtig schreibt, die Quote kein Maßstab ist.

Aber es gibt eben auch moderne, innovative und unkonventionelle Serien wie “Dr. House”, “Sherlock”, “Borgen” oder “Homeland”, die sehr wohl mainstream-fähig sind. Wo sind die deutschen Versuche, derartig ambitioniertes, massentaugliches Fernsehen zu machen? Dass es diese Versuche erst gar nicht gibt, da hat “DJ Frederiksson” völlig recht, ist die eigentliche Bankrotterklärung des deutschen Fernsehens.

Dass die privaten Sender derartige Wagnisse scheuen ist nachvollziehbar, schließlich leben sie von der Quote. Und auch den öffentlich-rechtlichen Sendern muss man zugestehen, dass eine teure eigenproduzierte Serie quotenmäßig zumindest in der Nähe des Senderschnitts liegen sollte. Aber: gäbe es im deutschen Fernsehen zur Primetime eine hervorragend gemachte Politserie wie “Borgen” oder “The West Wing” – welcher Politiker würde den Sendern wohl vorwerfen, dass sie nicht die selbe Quote bringt wie der sonntägliche “Tatort”? Welcher Publizist würde es wagen, die Existenzberechtigung eines öffentlich-rechtlichen Senders, der so ein Programm macht, in Frage zu stellen? Denn, da haben die Intendanten durchaus recht, um die Legitimation der Existenz der Öffentlich-rechtlichen geht es inzwischen durchaus.

Wann verstehen die öffentlich-rechtlichen Programmmacher endlich, dass sie sich und ihre Sender einzig und allein durch die gesellschaftlich anerkannte Qualität ihres Programms unersetzbar machen können und nicht durch möglichst gute Quoten? Dass den Öffentlich-rechtlichen eine solche breite gesellschaftliche Anerkennung für ihr Programm derzeit fehlt, wird ernsthaft wohl niemand bestreiten wollen.

Aber derartige Gedankenspiele sind den öffentlich-rechtlichen Programmmachern offenbar völlig fremd. Zumindest lassen die zunehmend realitätsfremden Aussagen einzig und allein auf Quoten fixierter öffentlich-rechtlicher Programmverantwortlicher nichts anderes vermuten.

Das Gefühl, dass es eine Revolution im deutschen Fernsehen braucht, wird immer drängender. Gleichzeitig steigen nicht nur bei Autoren wie “DJ Frederiksson” die Befürchtungen, dass diese längst überfällige Zeitenwende in deutschen Fernsehredaktionen leider ausbleiben wird. Und das ist, man kann es nicht anders sagen, ein Jammer.

»House of Cards«: Portrait Beau Willimon

Nachdem “House of Cards” auf Sat.1 grandios gefloppt war, schrieben einige pikierte Journalisten, das wäre der Beweis, dass der deutsche Fernsehzuschauer zu doof für gutes Fernsehen sei. Dabei war es vielmehr nur ein weiterer Beweis dafür, dass die hochgelobten amerikanischen Qualitätsserien nichts für ein Mainstream-Publikum sind – bei uns genauso wenig wie in den USA.

Wer die Serie trotzdem gesehen hat oder mehr darüber erfahren möchte, der sollte das ausführliche Portrait von “House of Cards”-Showrunner Beau Willimon im Magazin der New York Times lesen.

Darin erfährt man nicht nur, dass neben David Fincher auch Jodie Foster bei einigen Episoden der Polit-Serie Regie geführt hat, sondern bekommt mal wieder bestätigt, dass das eigentliche Erfolgsgeheimnis dieser Serien die starke Rolle des Autoren bzw. Showrunners ist, weshalb man sie eigentlich am besten als “Autorenserien” bezeichnen sollte.

Leider haben wir keine finanziell gut ausgestatteten Pay-TV- oder Spartensender, die es sich leisten könnten, derartige Serien zu produzieren. Aber wir haben öffentlich-rechtliche Sender, die dem, was Pay-TV ist, eigentlich sehr nahe kommen könnten – wenn sie nur das Selbstverständnis etwa des dänischen Staatsfernsehens an den Tag legen würden, dass es die erste Aufgabe eines öffentlich finanzierten Senders sein sollte, vor allem Qualität zu produzieren und nicht Quote.

Stattdessen machen unsere Öffentlich-rechtlichen mit ihrem Senioren-Fernsehen lieber ihre eigene Form des Spartenfernsehens.

Amazon ist gegen Binge-Watching

Morgen geht Amazon mit seiner ersten eigenproduzierten Serie “Alpha House” an den Start. Bei uns wird die Serie über Amazons Video-Streaming-Service Lovefilm zu sehen sein.

Im Gegensatz zu Netflix wird Amazon die Serie aber nicht sofort komplett zum “Binge-Watching” zur Verfügung stellen. Stattdessen werden erstmal die ersten drei Folgen veröffentlicht, die nächsten dann im wöchentlichen Abstand. Eine Mischform also aus dem Modell der Fernsehsender und dem von Netflix.

Ob Amazon damit gut fährt, wird schwer einzuschätzen sein, denn wie Netflix veröffentlicht Amazon keine Nutzungszahlen. Kritik von Fans der Serie dürfte Amazon aber sicher sein, denn die lieben es nun mal, mehrere Folgen einer Serie hintereinander zu sehen.

Wie sagte Kevin Spacey in Edinburgh so schön über das Geheimnis des Erfolgs von Netflix und “House of Cards”? “Give people what they want, when they want it.”

Wie Amazon Serien macht

Dass Netflix groß ins Seriengeschäft eingestiegen ist, hat sich inzwischen herumgesprochen. Weniger bekannt ist, dass auch Amazon eigene Serien produziert, um für seinen Streaming-Service exklusiven Content anbieten zu können.

Amol Sharma beschreibt in einem Artikel für das Wall Street Journal, wie bei Amazon Studios Produktionsentscheidungen getroffen werden. Wenig überraschend spielt beim Entscheidungsfindungsprozess des Online-Händlers Big Data eine herausragende Rolle.

Anders als Netflix, das gleich ganze Serienstaffeln in Auftrag gibt, beauftragt Amazon wie die Fernsehsender zunächst einmal Piloten. Im Gegensatz zu diesen hat Amazon jedoch wesentlich tiefere Einblicke in das Sehverhalten der Abonnenten, die es dank ihres bisherigen Kaufverhaltens vielleicht besser kennt als die sich selbst. Auch persönliche Empfehlungen und Nutzerkommentare gehen in die Algorithmen zur Berechnung des zu erwartenden Publikumserfolgs einer geplanten Serie ein.

Statt des Bauchgefühls eines Programmchefs entscheiden bei Amazon – wie bei Netflix – also letztlich Algorithmen darüber, was und was nicht produziert wird.

Für die Kreativen ist das aber offenbar allemal angenehmer. Jedenfalls erklären die sich überwiegend begeistert über die großen Freiheiten, die ihnen gelassen werden. Aber vielleicht ist auch das nur eine Frage der Verfeinerung der Algorithmen.

Battle of the Binge

Jetzt haben wir uns gerade daran gewöhnt, dass Netflix und andere Streaming-Dienste die Lösung aller unserer Fernsehprobleme sind, da ist die schöne, werbefreie Fernsehzukunft auch schon wieder in Gefahr. Josef Adalian berichtet in einem höchst interessanten Artikel auf Vulture über den Kampf der amerikanischen Fernsehsender um erweiterte Streaming-Rechte für ihre Serien.

Im Kern geht es darum, dass die Sender in ihren Mediatheken alle bereits gesendeten Folgen der aktuellen Staffel ihrer Serien anbieten möchten und nicht nur die letzten fünf Folgen, wie das bislang der Fall ist. Im Gegensatz zu Netflix laufen die Serien dort mit unüberspringbaren Werbeblöcken. So wollen die Sender ihre durch Time-Shifting schwindenden Werbeeinnahmen erhöhen.

Netflix wiederum droht damit, deutlich weniger für Serien zu zahlen, sollten die Fernsehsender die Serien über ihre Portale komplett anbieten. Und das wiederum finden die Studios, die die Serien herstellen nicht so lustig, ist Netflix für sie doch in den letzten Jahren zu einer wichtigen Einnahmequelle geworden. Möglicherweise ziehen im Hintergrund auch noch die Kabelnetzbetreiber die Fäden, denen der Erfolg von Netflix ein Dorn im Auge ist, auch wenn einige von ihnen Netflix demnächst in ihr Programmangebot aufnehmen.

Es ist also einiges in Bewegung. Die Fernsehsender, die sich bislang äußerst selbstbewusst gegenüber den aktuellen Umbrüchen gegeben haben, starten ihr erstes großes Rückzugsgefecht. Ob sie auf Dauer eine Chance haben, ihr werbefinanziertes Geschäftsmodell des linearen Fernsehens gegen die sich nachhaltig ändernden Sehgewohnheiten zu verteidigen, scheint allerdings mehr und mehr zweifelhaft.

Das Problem mit dem “Goldenen Zeitalter”

In Cannes ist Mipcom und überall spricht man von kaum etwas anderem als vom “New Golden Age of Television”. Das Problem mit diesem neuen goldenen Zeitalter ist allerdings, wie Thomas Lückerath auf einem Kommentar auf DWDL.de treffend feststellt, dass es bei uns bislang nicht stattfindet.

Gut, wir hatten “Unsere Mütter, unsere Väter” und wir haben – nach drei Jahren Pause – wieder “Weissensee”. Und immerhin haben wir einen ZDF-Programmdirektor, der uns ein deutsches “Breaking Bad” verspricht. Aber die Diskussion um die Inhalte, die Lückerath anmahnt, findet überall noch viel zu zaghaft statt.

Nun braucht die Entwicklung fiktionaler Stoffe Zeit – und die herausragender fiktionaler Stoffe umso mehr. Aber es ist dem außenstehenden Beobachter nicht zu verdenken, wenn er ungeduldig wird und sich fragt, ob dieses neue Fernsehzeitalter am Ende vielleicht doch spurlos an den deutschen Sendern vorbeigeht…

It’s the creative, stupid!

Kevin Spacey hat auf dem Fernsehfestival in Edinburgh eine so scharfzüngige wie unterhaltsame Rede gehalten, von der man nur hoffen kann, das sie von jedem, der in einem Fernsehsender etwas zu sagen hat, gesehen wird.

Wer nicht so viel Zeit hat, sich die ganze Rede anzusehen, die immerhin 46 Minuten lang ist, sollte ab Minute 21:40 hineinschauen, wo Spacey ans Eingemachte geht. Hier sind die besten Passagen daraus.

Zunächst beschreibt Spacey die Reaktion der Networks auf sein Projekt “House of Cards” und kritisiert die vorherrschende Praxis des Pilotierens der US-Sender. Die Idee von Netflix, alle Folgen von “House of Cards” auf einmal zu veröffentlichen, sei ein voller Erfolg gewesen:

“The audience wants the control. They want the freedom. If they want to binge […] let them binge. […] Through this new form of distribution we have demonstrated that we have learned the lesson, the music industry didn’t learn: Give people what they want, when they want it, in the form they want it in, at a reasonable price and they’ll more likely pay for it rather than steal it.”

Anschließend kommt Spacey direkt zur Gretchenfrage des Fernsehens und ruft eindringlich zu einem Wandel der Einstellung der Fernsehmanager zu den kreativen Talenten auf:

“We get what the audiences want: they want quality. We get what the talent wants: artistic freedom.  And the only way to protect talent and the quality of our work is to be innovative. We also get what the corporations want […]: They want to make money. And we need them to be profitable so that they can continue to fund high quality production. They want the highest possible audiences with the greatest impact. We get it. The challenge is: can we create an environment, where executives, who live in data and numbers, are emboldened and empowered to support our mission? To have an environment in that leadership will take risks, willing to experiment, be prepared to fail, aiming higher rather than playing it safe? […] We need to be better than the audience. We need to surprise, break boundaries and take viewers to new places. We need to give them better and better quality. We might not disrupt the status quo over night. But we can mould structures at the center of our businesses, because if we really, truly, put talent at the heart of everything we do, we might just be able to have greater highs across a broader spectrum of this industry.”

Anschließend beschreibt Spacey die Erfolgsgeschichte von “Breaking Bad”, das in den ersten Staffeln alles andere als berauschende Zuschauerzahlen erreicht hat und erst nach Veröffentlichung auf Netflix und cleverer Wiederholungsprogrammierung zu dem Hit wurde, der die Serie inzwischen ist.

Schließlich kommt Spacey auf das neue “Goldene Zeitalter” des Fernsehens zu sprechen: es sei keine Frage mehr, dass das Fernsehen mit Serien wie den “Sopranos” bis hin zu “Mad Men” heute das Kino an erzählerischer Qualität in den Schatten stellt. Er prophezeit, dass die Studios und das Kino dem Untergang geweiht sind, wenn sie nicht auf die wachsende Komplexität im Storytelling reagieren und erklärt die Unterschiede zwischen Kino- und Fernsehfilm oder Serie für überholt, weil das Publikum diese Unterscheidung auch nicht mehr vornimmt.

Schließlich wendet sich Spacey noch gegen den Nihilismus des “Nobody knows anything”:

“We do know how this works and it’s always been about empowering artists. […] We know what works. The only thing we don’t know is, why is it so difficult to find executives with the fortitude, the wisdom and the balls to do it?”

Schließlich kommt Spacey zu einem flammenden Aufruf:

“To an unheard of degree, we are finally free from that whory old shadow cast over television since its inception: the shadow of ratings. Not one of us in this room will ever see a 30-share in his lifetime and that’s a wonderful, freeing thing! Netflix did it right and focused on the things that have replaced the dumb, raw numbers of the Nielsen world: they embraced targeted marketing and brand as a virtue higher than ratings. And the audience has spoken: they want stories! They are dying for them. They are rooting for us to give them the right thing. And they will talk about it, binge on it, carry it with them on the bus and to the hairdresser, force it on their friends, tweet, blog, facebook, make fanpages, silly gifs and god knows what else about it. Engage with it, with a passion and intimacy that a blockbuster movie could only dream of. And all we have to do is give it to them. The price fruit is right there, shinier and juicier than its ever been before. So it will be all the more shame on each and every one of us, if we don’t reach out and seize it.”

Hier ist die ganze Rede:

Der Sender der bösen Männer

Vor “Mad Men” und “Breaking Bad” war AMC nur ein Sender unter hunderten, der im US-Kabelnetz alte Kamellen vor sich hin sendete.

Zachary M. Seward erzählt in einem Beitrag auf Quartz die ungewöhnliche Erfolgsgeschichte des kleinen amerikanischen Kabelsenders und zeigt die wirtschaftlichen Zusammenhänge dahinter auf. Lesenswert!

Der lange Weg von “Cheers” zu “Breaking Bad”

In einem Artikel in The Morning News beschreibt Martin Connelly die Entwicklung der modernen Fernsehserie, angefangen mit Serien wie “Cheers” und “Friends”, die erstmalig Entwicklungsbögen über eine ganze Staffel hinweg einführten bis hin zur heute üblichen Form der zehn- bis zwölfteiligen Kurzstaffel, der Conelly romanhafte Qualitäten bescheinigt.

Zu Wort kommen neben “Cheers”-Autor und Produzent Phoef Sutton auch die Autorin Amanda Lotz, die in ihrem Buch mit dem programmatischen Titel The Television Will Be Revolutionized” die These aufstellt, dass das Fernsehen Mitte des letzten Jahrzehnts in eine “Post-Network”-Ära eingetaucht ist, in der die Mainstream-Sender zunehmend an Relevanz verlieren.

Zwar kommt Conelly in dem etwas ausufernden Artikel nicht zu bahnbrechenden neuen Erkenntnissen, gibt aber einen guten Abriss über die historische Entwicklung. Alles in allem daher durchaus lesenswert.

The Next Big Thing

Es gilt als ausgemacht, dass das traditionelle lineare Fernsehen das nächste Opfer des digitalen Medienumbruchs sein wird. Bislang hält es sich allerdings noch recht wacker.

Dafür, dass das so bleibt, tun die dominierenden Player im Fernsehmarkt aber auch einiges, wie Matt Buchanan in seinem Elements-Blog beim New Yorker beschreibt. Das sind vor allem die Fernsehsender und – in den USA – die Kabelnetzbetreiber.

Zwar stehen Apple, Google, Microsoft und andere längst in den Startlöchern, um den großen Bildschirm im Wohnzimmer zu erobern, aber dafür brauchen sie Inhalte. Die großen Medienkonglomerate, die diese Inhalte haben, haben jedoch wenig Interesse daran, ihr etabliertes Geschäftsmodell des traditionellen linearen Fernsehens zu untergraben. Wären alle Inhalte jederzeit online verfügbar, bräuchte es keine Fernsehsender mehr und die Kabelnetzbetreiber würden vom Inhalteanbieter zum technischen Dienstleister degradiert. Wie schwer man sich als solcher tut, Geld zu verdienen, kann man sehr schön am Beispiel der Mobilfunkbetreiber beobachten.

Das ist auch der Grund, warum HBO seine begehrten Serien weiterhin exklusiv über sein Kabelabonnement vertreibt – “Girls”, “The Newsroom” und “Game of Thrones” sind weder auf Hulu noch auf Netflix oder einem anderen Streaminganbieter zu bekommen. Wer HBO nicht abonniert hat, muss warten, bis die Serien auf DVD erscheinen.

Auch wenn das lineare Fernsehen in einer Welt ständig verfügbarer Online-Medien längst zum Anachronismus geworden ist – ohne ein Geschäftsmodell, dass die Inhalteanbieter und Kabelnetzbetreiber einschließt, wird sich daran nichts ändern.

Genau daran wird derzeit hinter den Kulissen kräftig gewerkelt: Während Google und Intel versuchen, direkt über die Produzenten an Inhalte zu kommen, unternehmen Apple und Microsoft alles, um mit den Kabelnetzbetreibern ins Geschäft zu kommen.

In Deutschland ist die Situation trotz anderer Ausgangslage ähnlich verfahren: bei Lizenzware wie amerikanischen Filmen und Serien stehen auch bei uns die Interessen der Fernsehsender denen der Streaminganbieter entgegen. Die größte Produzenten eigener Programme dagegen – die Öffentlich-Rechtlichen – werden durch unsinnige gesetzliche Regelungen daran gehindert, ihr vom Gebührenzahler bereits bezahltes Programm diesen auch unbegrenzt zur Verfügung zu stellen.

Solange sich Inhalteanbieter und Fernsehsender weiter selbst im Weg stehen, wird es nur einen Gewinner geben: die illegalen Streamingportale. Das nützt letztlich niemandem. Der Druck, ein neues Geschäftsmodell zu finden, ist also da. Die Schlacht um unser Wohnzimmer hat längst begonnen.

Gegenwart und Zukunft des Fernsehens

Nach der “Kurzen Geschichte des Fernsehens” hat Ars Technica zwei weitere Artikel nachgelegt: im ersten betrachtet Casey Johnston den gegenwärtigen Entwicklungsstand in Sachen Fernsehtechnik, im zweiten wagt sie einen Ausblick auf das, was uns in der Zukunft erwartet: “How the Internet dustup will settle”.

internet-tvs

Die spannende Frage ist dabei vor allem, wie sich das Verhältnis von Free-TV-Sendern, Kabelnetzbetreibern und Streaming-Diensten weiter entwickeln wird.

Johnston prophezeit, dass die Anbieter von Kabelfernsehpaketen ihre exorbitanten Preissteigerungen der letzten Jahre bald zurücknehmen werden müssen, da sie mehr und mehr durch kostenlose oder wesentlich günstigere Angebote unter Druck geraten werden – es sei denn, die Kabelnetzbetreiber steigen ihrerseits ins Streaming-Geschäft ein, um ihr Angebot zu ergänzen. Denkbar wäre allerdings auch, dass die äußerst finanzstarken Kabelbetreiber die neue Streaming-Konkurrenz über kurz oder lang einfach aufkaufen.

Wie auch immer es ausgeht: der Fernseh- und Videomarkt ist derzeit so umkämpft wie nie, was letztlich auch zu einer Renaissance der Inhalte geführt hat. Es bleibt also spannend.