Beau Willimon über Frank Underwood

Zur Frage, ob eine Hauptfigur den Sympathietest bestehen muss, habe ich gerade eben erst geschrieben. Der Autor und Showrunner der Netflix-Serie „House of Cards“ Beau Willimon hat mit Kevin Spaceys Frank Underwood eine Figur geschaffen, die erst gar nicht versucht, sympathisch zu erscheinen. Auch Willimon ist der Ansicht, dass nicht Sympathie ausschlaggebend für eine gute Hauptfigur ist, sondern Interesse und Anteilnahme.

Willimon argumentiert, dass uns unmoralische Figuren in Geschichten möglicherweise deshalb faszinieren, weil sie uns erlauben, gefahrlos unsere eigenen unmoralischen Seiten zu ergründen. Ein interessanter Aspekt.

Wer mehr über Willimons Ansichten zu Netflix, Binge-Watching (kann da mal jemand ein deutsches Wort für erfinden?) und Walter White erfahren möchte, sollte sich den ganzen Artikel auf Vulture durchlesen. Und wer dann noch mehr wissen will, kann sich hier ein Podcast-Interview mit ihm ansehen.

Mehrteiler versus Serien

Mit „Das Adlon“ und „Unsere Mütter, unsere Väter“ erlebt der Fernseh-Mehrteiler in Deutschland gerade eine kleine Renaissance. Gerade bei letzterem, der ja als eine Art deutscher „Band of Brothers“ konzipiert und rezipiert wurde, stellt sich die Frage, warum die Form von drei mal 90 Minuten gewählt wurde und nicht etwa die einer sechs-teiligen Serie mit beinahe gleicher Gesamtlauflänge. Oder, wenn man schon dabei ist, warum man nicht eine komplette 12-teilige Serie daraus gemacht hat. Der Stoff hätte es sicherlich hergegeben.

Thomas Lückerath argumentiert in einem Beitrag auf dwdl.de, dass es im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern in Deutschland keine Tradition der Serie gäbe.

Zwar gibt es in Deutschland durchaus eine Serientradition, allerdings eher am Vorabend. Und für den ist ein Stoff wie „Unsere Mütter, unsere Väter“ sicherlich denkbar ungeeignet. In der Primetime gib es für eine 50-minütige Serie im Programmschema der Öffentlich-rechtlichen aber einfach keinen Platz.

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Auch wenn der Einzelspielfilm, den es in dieser Form im Fernsehen fast nur in noch in Deutschland gibt, seinen eigenen Charme hat – die Serie ist sicherlich die für das Fernsehen ureigenste Form, auch weil sie ökonomisch am sinnvollsten ist: mit „Unsere Mütter, unsere Väter“ als Serie hätte das ZDF ganze sechs Abende hervorragend bestücken können, mit allen positiven Effekten für das Begleitprogramm. More bang for the buck, würde der Amerikaner sagen.

Natürlich ist eine sechs-teilige Serie aber letztlich auch nur eine „halbe Serie“ – um die 12 Folgen pro Staffel sind mehr oder weniger internationaler Standard. Eine volle 12-teilige Serie mit dem production value von „Unsere Mütter, unsere Väter“ zu beauftragen, übersteigt momentan aber sicherlich den Risiko-Appetit sämtlicher Sendeverantwortlicher in Deutschland – verständlicherweise, denn schon mit den drei mal 90 Minuten hat man sich für hiesige Verhältnisse sehr weit aus dem Fenster gelehnt.

Aber vielleicht löst ja der große internationale Erfolg der anspruchsvollen Primetime-Serie auch in deutschen Filmredaktionen ein gewisses Umdenken aus. Zu wünschen wäre es. Denn es wäre schade, wenn das „Goldene Zeitalter der Serie“ an Deutschland völlig spurlos vorübergeht.

Es geht doch

Der ZDF-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ hat allen Unkenrufen zum Trotz gezeigt, dass es auch in Deutschland möglich ist, richtig gutes Fernsehen zu machen: eine überzeugende, gesellschaftlich relevante Geschichte, tolle Schauspieler und ein beeindruckender production value, der sich vor der internationalen Konkurrenz nicht zu verstecken braucht.

Darüber hinaus wurde die Mini-Serie nicht nur von der Kritik einhellig gelobt, sondern hat auch noch sehr gute Zuschauerzahlen erzielt. Was will man mehr? Wenn öffentlich-rechtliches Fernsehen immer so wäre, wer würde sich dann noch trauen, die so oft gescholtene „Zwangsgebühr“ in Frage zu stellen?

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Der Dreiteiler zeigt aber auch, dass gutes Fernsehen nicht zum Schleuderpreis zu haben ist. Mit einem Budget von über 14 Mio. Euro lagen die Produktionskosten weit über dem, was üblicherweise für einen Fernsehfilm ausgegeben wird. Und das sieht man. Qualität hat eben ihren Preis. So führt der Erfolg von „Unsere Mütter, unsere Väter“ auch vor Augen, wie kaputtgespart der durchschnittliche deutsche Fernsehfilm inzwischen ist.

Es bleibt schwer nachzuvollziehen, warum die öffentlich-rechtlichen Sender ausgerechnet beim fiktionalen Programm, durch das sie sich so hervorragend profilieren und unersetzbar machen könnten, so gnadenlos den Rotstift ansetzen, während gleichzeitig die Etats für Sportereignisse und Fußballrechte in schwindelerregende Höhen steigen.

Zwar bringen Sportgroßereignisse zuverlässig gute Zuschauerzahlen – dank Fußball und Olympia hat es das ZDF letztes Jahr immerhin zum Marktführer gebracht. Wie die anhaltende Kritik an der Haushaltsabgabe aber deutlich zeigt, erweist sich die Vorstellung, durch hohe Zuschauermarktanteile eine Legitimation für die Haushaltsabgabe zu erreichen, als Trugschluss, solange sich das öffentlich-rechtliche Programm nicht deutlich von dem der Privatsender unterscheidet.

Schließlich würde niemand irgendetwas vermissen, wenn die Champions League statt im ZDF bei Sat.1 liefe. Aber Deutschland würde viel gewinnen, wenn die Öffentlich-Rechtlichen mehr mutige und teure Fernsehproduktionen wie „Unsere Mütter, unsere Väter“ produzieren würden. Eine bessere Bestandsgarantie kann es für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht geben.

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Qualität und Quote

Über die Frage, warum viele hochgelobte amerikanische Pay-TV-Serien sich trotz mauer Quoten trotzdem für die Sender lohnen, habe ich bereits hier, hier und hier geschrieben. Ein Artikel in „Wired“ beleuchtet das Thema nun von einer anderen Seite: liegt es vielleicht daran, dass die Quoten nicht das messen, was sie messen sollen?

So hat der alles beherrschende amerikanische Quotenmessdienst Nielsen erst vor kurzen damit begonnen, digital aufgenommene Sendungen, die später gesehen werden, bei der Quotenmessung zu berücksichtigen. Das Ergebnis: teilweise über 60 Prozent höhere Quoten!

Und noch ein Erfolgsgeheimnis der amerikanischen Kabel-TV-Serien verrät der Artikel: Sex. Im Gegensatz zum prüden amerikanischen Free-TV-Fernsehen, bei dem bereits eine für Sekundenbruchteile entblößte Brust zum Politikum wird, gibt es davon bei den „Qualitätsserien“ nämlich außerordentlich viel – im Fall von „Game of Thrones“ sogar so viel, dass die praktische Verbindung eher zäher Plot-Exposition mit ansonsten eher dialogarmen Sex-Szenen schon ein neues Wort hervorgebracht hat: Sexposition.

Das Modell HBO

In seinem Blog „Deadline“ beim Schweizer Tagesanzeiger bringt Constantin Seibt das „Modell HBO“ kurz und bündig auf den Punkt. Der Bezahlsender habe die Fernsehserie zur „aufregendsten Kunstform des 21. Jahrhunderts“ gemacht, indem er nicht auf die maue Zufriedenheit der Masse, sondern auf die leidenschaftliche Begeisterung einer kleinen Zuschauergruppe gesetzt hat.

Das Bonmot des einstigen RTL-Chefs Helmut Toma, dass der Wurm dem Fisch schmecken muss und nicht dem Angler, verortet Seibt treffend als Ausgangspunkt des Trash-TV. Auch die entscheidende Bedeutung der Autoren bei der Konzeption herausragender Serien erwähnt der Beitrag, in dem es eigentlich um die Zukunft der Zeitung geht.

Zu guter Letzt lernen wir in dem Artikel auch noch einen schönen Helvetismus kennen: das wunderbare, dem Französischen entlehnte Wort „foutieren“ bedeutet laut Duden „sich (um etwas) nicht kümmern“ bzw. „sich (über etwas) hinwegsetzen“. Wieder was dazugelernt.

Big Data wird Programmchef

Die wunderbare neue Welt der Streaming-Dienste macht es möglich, das Zuschauerverhalten so genau zu analysieren, wie es sich Programmchefs von Fernsehsendern nicht einmal in ihren kühnsten Träumen ausmalen würden.

Was für mögliche Konsequenzen der „Gläsernen Zuschauer“ für die Konzeption neuer Filme und Fernsehserien haben kann, versucht ein Beitrag auf Salon.com zu beleuchten: Big Data is watching you.

Das Goldene Zeitalter – wie lange noch?

Wie in dem Beitrag „‚Breaking Bad‘, die Dänen und wir“ beschrieben, beruht das gegenwärtige „Goldene Zeitalter“ des Fernsehens mindestens ebenso auf dem Geschäftsmodell der amerikanischen Kabel- und Pay-TV-Landschaft wie auf einer kreativen Renaissance.

Dieses Geschäftsmodell hat zu einem regelrechten Qualitätswettbewerb unter den Fernsehsendern geführt, die sich mit immer neuen, anspruchsvollen Fernsehserien geradezu überbieten. Die Frage ist nur – wie lange noch?

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Nochmal »Breaking Bad«

In der Stuttgarter Zeitung gibt es ein interessantes Interview mit Christoph Dreher, der den Dokumentarfilm „It’s not TV“ über die Macher von „Breaking Bad“, „Tremé“ und „The Wire“ gedreht hat – eine schöne Ergänzung zu meinem vorletzten Artikel.

In dem Artikel werden diese Serien „Autorenserien“ genannt, was sicherlich besser ist als der streitbare Begriff „Qualitätsserien“, mir aber nicht ganz einleuchtet, denn die meisten amerikanischen Serien sind „Autorenserien“ in dem Sinne, dass der Schöpfer der Serienidee in der Regel auch als Produzent beteiligt ist. In Anlehnung an „Autorenfilm“ ist die Bezeichnung zwar nachvollziehbar, aber letztlich doch mißverständlich. Für mich trifft es „Arthouse-Serien“ eigentlich am besten.

»Breaking Bad«, die Dänen und wir

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Der Ruf deutscher Fernsehfilme und insbesondere deutscher Serien ist nicht gerade der Beste. Gern wird dabei immer wieder auf die tollen amerikanischen Qualitätsserien à la „Mad Men“, „Breaking Bad“ oder „Homeland“ verwiesen und die Frage gestellt, warum wir sowas in Deutschland nicht auch hinkriegen.

Mit viel Lust und Polemik haut der „Spiegel“ in seiner aktuellen Ausgabe in dem Artikel „Im Zauderland“ mal wieder in genau diese Kerbe. Mit neuen Informationen können Georg Dietz und Thomas Hüetlin nicht aufwarten, stattdessen beten sie mal wieder gebetsmühlenartig die alte Leier von den erstklassigen amerikanischen und den miesen deutschen Serien herunter. Damit machen sie es sich nicht nur zu einfach, sie verpassen auch die eigentlich interessante Geschichte dahinter.

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Inside the Writers‘ Room

Wer immer schon mal wissen wollte, wie es eigentlich in einem Writers‘ Room einer erfolgreichen Sitcom zugeht, sollte den Bericht von Alan Sepinwall über seinen Besuch beim Autorenteam von „Parks and Recreation“ lesen.

Einen Blick hinter die Kulissen kann man auch bei dieser kleinen Slideshow der New York Times werfen, die ein paar Bilder von verschiedenen Writers‘ Rooms zeigt.

Die Rache der Nerds

Der große Erfolg von „The Big Bang Theory“ nicht nur in den USA sondern auch in Deutschland ist in vielerlei Hinsicht überraschend. Welcher Programmverantwortliche hätte darauf gewettet, dass eine Sitcom über drei promovierte Wissenschaftler, einen Raumfahrt-Ingenieur und eine Möchtegern-Schauspielerin ein breites Publikum finden würde? David Hinckley geht dieser Frage in einem Artikel auf NY Daily News nach.

Update: Einen interessanten Blick hinter die Kulissen von „The Big Bang Theory“ gibt es beim Hollywood Reporter.

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Zur Ökonomie von »Mad Men«

Beim Jammern über die Misere des deutschen Fernsehens wird immer wieder gern auf amerikanische Qualitätsserien wie „Mad Men“, „Breaking Bad“ oder „The Wire“ verwiesen. Dass diese Serien als Nischenprodukte für Pay-TV-Sender konzipiert sind, die selbst auf dem riesigen US-Markt bei ihrer Erstausstrahlung selten über 3 Mio. Zuschauer erreichen und insofern nicht wirklich mit Mainstream-Produktionen deutscher Free-TV-Sender verglichen werden können, fällt in dieser Diskussion gern unter den Tisch.

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Die spannende Frage dabei ist, wie sich diese durchweg aufwendig produzierten Serien bei derart niedrigen Zuschauerzahlen überhaupt für die Sender rechnen.

Die Antwort darauf gibt ein äußerst aufschlussreicher Artikel in der New York Times. Die schöne Hoffnung, mit dem erwartetem Einstieg deutscher Pay-TV-Sender in die Fiction-Produktion würde hierzulande alles besser werden, wird sich demnach wohl leider nicht erfüllen.