Noch mehr Oscar-Drehbücher

Einen ersten Schwung Drehbücher der diesjährigen Awards-Season habe ich bereits im Dezember vorgestellt, jetzt, wo die Nominierungen feststehen, gibt es vom Script Magazine einen schönen Nachschlag. Leider fehlen immer noch Favoriten wie “American Hustle”, “Blue Jasmin” und “Her”. Aber wenn man etwas googelt, findet man auch die.

Hier ist eine Auswahl der interessantesten neuen Bücher, die komplette Liste kann man beim Script Magazine ansehen. Und die Liste vom Dezember mit 15 weiteren Drehbüchern findet Ihr hier.

»Nebraska« von Robert W. Nelson

»Nebraska«
von Robert W. Nelson

»Dallas Buyers Club« von C. Borten & M. Wallack

»Dallas Buyers Club«
von C. Borten & M. Wallack

»The Spectacular Now« von S. Neustadter & M. H. Weber

»The Spectacular Now«
von Neustadter & Weber

»Frozen« von Jennifer Lee

»Frozen«
von Jennifer Lee

»Saving Mr. Banks« von Kelly Marcel and Sue Smith

»Saving Mr. Banks«
von K. Marcel and Sue Smith

»The Wolf of Wall Street« von Terence Winter

»The Wolf of Wall Street«
von Terence Winter

»August: Osage County« von Tracy Letts

»August: Osage County«
von Tracy Letts

»Fruitvale Station« von Ryan Coogler

»Fruitvale Station«
von Ryan Coogler

»The Way, Way Back«  von Nat Faxon und Jim Rash

»The Way, Way Back«
von Nat Faxon und Jim Rash

Liebe im Kino

Die klassische RomCom ist zur Zeit im Kino ziemlich tot. Zu lange hat man auf bewährte Strickmuster gesetzt, die das Publikum auch überraschend lange dankbar angenommen hat. Inzwischen traut sich aber kaum ein Star mehr an das Genre, das noch vor ein paar Jahren die Multiplexe gefüllt hat.

Interessanterweise reüssieren dafür in letzter Zeit kleinere Filme über romantische Verwicklungen, die ihre Geschichten nicht mehr ganz so locker-flockig erzählen und die Komplexität romantischer Beziehungen ernster nehmen. Was letztes Jahr mit “Silver Linings Playbook” begann, setzt sich dieses Jahr mit Filmen wie “Enough said”, “The Spectacular Now”, “Blue is the Warmest Color” und anderen fort, wie Alexander Huls in einem lesenswerten Artikel im Atlantic ausführt.

Mit ihrem realistischeren und damit auch dramatischerem Blick sprechen diese Filme allerdings ein ganz anderes Publikum an, als die Popcorn-Filme der klassischen Romantic Comedy. Es dürfte daher nur eine Frage der Zeit sein, bis sich auch die RomCom neu erfindet. Und vielleicht schaut sie sich ein bisschen was ab, von diesen kleineren, leiseren Filmen.

Peter Morgan über »Rush« oder: Die Gretchenfrage der Dramaturgie

Drehbuchautor Peter Morgan erzählt in einem Interview mit Bob Verini auf ScriptMag von seinem Erzählansatz für Ron Howards neuen Film “Rush”.

Morgan hat für sein Drehbuch das Konzept der Drei-Akt-Struktur über Bord geworfen und seine Geschichte über die Rivalität zwischen den Formel-1-Legenden Niki Lauda und James Hunt stattdessen selbst wie ein Rennen strukturiert.

Das Beispiel zeigt, dass es jenseits der klassischen Akteinteilung auch ganz andere Prinzipien geben kann, nach denen eine Geschichte strukturiert werden kann. Und die können, wie in diesem Fall, für die Ausarbeitung der Geschichte manchmal wesentlich hilfreicher sein als abstrakte Akteinteilungen.

Vermutlich wird man für den Film, wenn man es darauf anlegt, trotzdem eine Drei-Akt-Struktur definieren können – aber kann man das im Nachhinein nicht immer irgendwie?  Und wenn dem so ist: für was ist Struktur dann eigentlich gut? Dafür, dass eine Geschichte am Schluss eine bestimmte Form aufweist? Oder eher als organisierendes Prinzip, das dem Autor dabei hilft, seine Geschichte zu fokussieren?

Brauchen wir Dramaturgie also, weil Geschichten einem nebulösen Naturgesetz folgend eine bestimmte Form aufweisen müssen? Oder ist Dramaturgie vielmehr dazu da, dem Autor dabei zu helfen, eine möglichst gute Geschichte zu schreiben – der retrospektiv eine Struktur von Anfang-Mitte-Ende zuzuweisen nichts weiter als ein banaler Akt ist?

rush

Chaos-Kino statt Action-Ballett

Nicht nur die Plots der Sommer-Blockbuster ähneln sich immer mehr, auch ihre Action-Sequenzen werden immer austauschbarer. In seinem treffend betiteltem Beitrag “Why Most Modern Action Films Are Terrible” argumentiert Nick Schager, dass der bei Action-Szenen inzwischen vorherrschende Stil des “Chaos-Cinema” die eigenständige Handschrift traditionell geschulter Action-Regisseure weitgehend verdrängt hat.

Moderne Action-Sequenzen setzen oft eher auf eine Art kalkulierter Reizüberflutung als auf so altmodische Dinge wie kohärente Bewegungsabläufe oder nachvollziehbare räumliche Orientierung – ganz im Gegensatz zu den perfekt durchchoreographieren Action-Balletten von Altmeistern wie John Woo oder auch den Wachowski-Geschwistern in “The Matrix”.

Der Chaos-Stil beruht auf einer Produktionstechnik, bei der mit möglichst vielen Kameras aus möglichst vielen Blickwinkeln möglichst viel Material gedreht wird. Erst bei der Postproduktion wird der Ablauf der Sequenz gestaltet. Wegbereiter der neuen Technik war neben Michael Bay vor allem Paul Greengrass mit seiner “Bourne”-Trilogie.

Inzwischen ist dieser Action-Stil allerdings zur Massenware verkommen. Wie Schager in seinem Artikel ausführt, ist der Grund dafür vor allem, dass sich diese Form des Action-Drehs gut auf Second Units auslagern lässt. Das eröffnet den Studios die Möglichkeit, mit Regisseuren zu arbeiten, die noch wenig oder keine Erfahrung beim Inszenieren von Action-Sequenzen haben, dafür aber ein stärkeres Augenmerk auf die Figurenführung legen – und wer wollte dagegen protestieren? Der Preis dafür scheinen zunehmend industriell gefertigte und ästhetisch austauschbar wirkende Action-Sequenzen zu sein. Irgendeinen Tod muss man offenbar sterben.

Der Sommer der B-Movies

Jetzt hat es das Thema sogar auf Zeit Online geschafft: es ist zwar schon ein paar Wochen her, dass Steven Spielberg und George Lucas den Untergang Hollywoods prophezeit haben, aber nachdem seitdem eine ganze Reihe sündhaft teurer Sommer-Blockbuster an der Kinokasse enttäuscht haben, scheint die Kino-Apokalypse nun unmittelbar bevor zu stehen.

Statt der teuren Special-Effects-Filme haben die Zuschauer in den USA in den letzten Wochen eher Filme wie Adam Sandlers “Kindsköpfe 2” bevorzugt, wie die LA Times in ihrem Beitrag über die Blockbuster-Flops feststellte. Gut funktioniert haben außerdem eine ganze Reihe von Genre-Filmen mit kleinem Budget, allen voran “The Conjuring”, der gestern bei uns angelaufen ist. Der Sommer der Blockbuster-Flops ist damit für andere inzwischen schon der Sommer der B-Movies.

So langsam scheint sich in den Führungsetagen der Studios die Erkenntnis zu verbreiten, dass es so nicht weitergehen kann. Mit zu vielen, zu ähnlichen teuren Mega-Blockbustern haben sie den Bogen ganz offensichtlich überspannt.

Ob das gleich zu einer kreativen Renaissance führen wird, sei dahingestellt. Mit kleineren Filmen und originelleren Geschichten tut sich das Studio-System traditionell eher schwer, wie Steven Zeitchick, in der LA Times feststellt.

Man kann also weiterhin nur hoffen, dass die Studios in Zukunft wieder weniger auf vermeintlich todsichere Rezepte und Megafilme aus der Retorte setzen und ungewöhnlicheren Geschichten wieder mehr Chancen geben.

Update: Jetzt hat auch noch die Süddeutsche nachgezogen: “Das Blockbuster-Imperium schlägt zurück”

Grownups

Wo Logik überbewertet ist

Es gibt Filmgenres, die ein so starres Regelkorsett haben, dass Ablauf und Auflösung der Geschichte leicht vorhersehbar werden. Dazu gehört neben der Romantic Comedy, dem Thriller und dem Horrorfilm sicherlich auch der Heist-Movie.

Um diese Vorhersehbarkeit zu konterkarieren setzen Filmemacher manchmal ein Stilmittel ein, das Filmen wie “The Usual Suspects” und “The Sixth Sense” zu ungeahnten Erfolgen verholfen hat: der überraschende Twist am Ende der Geschichte, der mit einem Mal alles zuvor Gesehene in neuem Licht erscheinen lässt.

Dass man damit auch zu weit gehen kann, beschreibt Alexander Gajic sehr schön auf seinem Blog Real Virtuality in einem äußerst unterhaltsamen Beitrag über “Die Unfassbaren”: durch immer neue Twists wird die Logik der Geschichte hier derart überstrapaziert, dass das Ergebnis am Ende nur noch hanebüchen erscheint.

Spätestens, wenn der Zuschauer sich an der Nase herumgeführt fühlt, hat der Erzähler den Bogen überspannt. Der Zuschauer “glaubt” die Geschichte nicht mehr, seine “suspension of disbelief” bricht zusammen, er fühlt sich nicht mehr gut unterhalten sondern nur noch veräppelt.

Interessanterweise strotzen viele Blockbuster aber ebenfalls nicht gerade vor inhaltlicher Stringenz, was ihrer Popularität in der Regel aber keinen Abbruch tut. Auch Gajic schreibt, dass ihm die haarstreubenden Unstimmigkeiten von Jokers Plan in “The Dark Knight” nur ein Schulterzucken wert waren und dass Javier Bardems Figur in “Skyfall” geradezu hellseherische Fähigkeiten besessen haben muss, damit seine unwahrscheinliche Flucht aus dem Gefängnis so wunderbar klappt, hat seinen Filmgenuß ebenfalls nicht wirklich geschmälert.

Warum aber stören sich viele Zuschauer an der mangelnden Plausibilität von Filmen wie “Die Unfassbaren”, während Logikfehler in Filmen wie “The Dark Knight”, “Skyfall” oder “Herr der Ringe” klaglos hingenommen werden?

Dass Plausibilitätsdefizite bei Geschichten, die ihre Spannung letztlich aus der Logik der Handlung schöpfen, fatal sein müssen, liegt auf der Hand – und um solche Filme handelt sich in der Regel bei Heist-Movies.

Steven Spielberg erfand dagegen die Idee von einem Film, die wie ein “theme park ride “ funktioniert, wie eine Vergnügungsparkattraktion also, bei dem das Publikum durch eine dichte Folge action-lastiger Set-Pieces unterhalten wird.

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Diese Idee, mit der Spielberg gewissermaßen den Grundstein zum modernen Blockbuster gelegt hat, rückt die Handlung des Films in den Hintergrund. Sie ist nur noch das Gerüst auf dem ein immer spektakuläreres Special-Effects-Feuerwerk abgefackelt wird. Die Logik der Geschichte wird da völlig zweitrangig – wenn sie überhaupt eine hat: Oder hat irgendjemand verstanden, um was es im dritten Teil von “Fluch der Karibik” ging? Konnte irgendjemand beim ersten Sehen den verschlungenen Plot-Pfaden von “Inception” folgen? Und was ist eigentlich aus der unglaublich wichtigen Liste britischer Geheimagenten geworden ist, der James Bond in “Skyfall” hinterherjagt?

Logik spielt in diesen Filmen kaum eine Rolle – so lange man durch ihre atemberaubenden Action-Sequenzen gut unterhalten wird. Nach einer Achterbahnfahrt fragt ja auch keiner, was diese ganzen Loopings gerade zu bedeuten hatten. Ein Feuerwerk kann äußerst unterhaltsam sein auch ohne dass es einen Sinn ergibt.

Für den Special-Effects-lastigen Blockbuster ist es überraschend wenig wichtig, dass der Zuschauer der Geschichte überhaupt folgen kann. Er muss nur in groben Zügen verstehen, was da insgesamt vor sich geht – Details sind letztlich einfach nur lästig.

Pacific-Rim-PosterAllerdings sind auch beim großen Blockbuster in letzter Zeit deutliche Ermüdungserscheinungen zu beobachten: Kampfszenen müssen inzwischen mindestens zwischen riesigen Robotern und Superhelden oder riesigen Robotern und riesigen Monstern stattfinden, um noch irgendeinen Teenager hinter dem Ofen herzulocken und die Welt ist auf der Leinwand inzwischen auch schon so oft so schön untergegangen, dass dafür alleine auch keiner mehr ins Kino geht. Irgendwann lässt sich, so scheint es, der visuelle Nervenkitzel nicht mehr steigern.

Aus diesem Grund greifen auch die Macher von Blockbustern inzwischen vermehrt in die Trickkiste der Genre-Filmer: mit Plot-Twists setzen sie nach dem ersten Showdown einen Höhepunkt nach den anderen und werden dabei immer länger und länger. Das Ergebnis sind die aufgedunsenen Blockbuster, die Film Crit Hulk beklagt.

Überleben wird sich der Blockbuster deswegen nicht – genauso wenig wie Jahrmärkte, Feuerwerke und Themenparks irgendwann einmal aussterben werden. Eine Renaissance des Erzählens weg von starren Formeln hin zu innovativeren Erzählformen, so wie sie derzeit bei der Fernsehserie stattfindet, scheint aber auch im Mainstream-Kino immer notwendiger zu werden.

Montags-Drehbücher

Auf dem Blog Read Watch Write veröffentlicht Brad Johnson seit kurzem jeden Montag ausgewählte Drehbücher zum kostenlosen Download.

bladerunner

Diese Woche hat er “Blade Runner” online gestellt. In den letzten Wochen waren bereits unter anderem die Drehbücher zu “A Clockwork Organge”, “Witness”, “There will be Blood” und “(500) Days of Summer” an der Reihe. Wer gerne Drehbücher liest, sollte sich die Seite merken.

 

Sci-Fi und Fantasy: ein westliches Kulturphänomen?

Ist Science Fiction und Fantasy ein rein westliches Phänomen? Christine Folch vergleicht in einem Essay im Atlantic die vorherrschenden Film-Genres Hollywoods mit denen Bollywoods und stellt die Frage: Warum sind vor allem die westlich geprägten Gesellschaften offenkundig so von Science Fiction und Fantasy fasziniert?

Folch zitiert den deutschen Soziologen Max Weber mit seiner Theorie, dass wir in einer “entzauberten Welt” leben, in der es für alles eine Erklärung gebe und die sei schlicht und einfach langweilig. Umso stärker sei dann die Sehnsucht nach Magie, Mystik und Unerklärbarem.

Da mag etwas dran sein. Allerdings muss man feststellen, dass auch das europäische Kino herzlich wenig an Fantasy und Science Fiction hervorbringt – was aber eher ein Problem der fehlenden Budgets ist als ein Mangel an Interesse des Publikums, wie die eindrucksvollen Besucherzahlen vor allem der amerikanischen Fantasy-Filme beweisen.

Obwohl Bollywood nach Anzahl produzierter Filme Hollywood als Filmhauptstadt der Welt weit in den Schatten stellt – bei den Budgets ist Tinseltown immer noch König. Es ist schwer vorstellbar, dass die indische Filmindustrie mit den Special-Effects-Schlachten aus Kalifornien mithalten könnte.

Allerdings ist es bemerkenswert, dass die großen Science Fiction und Fantasy Hits aus Amerika in Indien keine nennenswerten Zuschauerzahlen erzielen konnten. Vielleicht ist also wirklich etwas dran, an der westlichen Faszination an fiktiven magischen Welten. Auch wenn das europäische Kino für die die notwendigen Budgets nicht auftreiben kann – eine große Zahl äußerst erfolgreicher europäischer Fantasy-Roman-Autoren beweist, dass die Sehnsucht nach Verzauberung auch in Europa groß ist.

Warum der deutsche Film so ist, wie er ist

Filmpreis

[spacer size=”20″]Alle Jahre wieder, pünktlich zur Verleihung des Deutschen Filmpreises, erklingt die Klage über die Malaise des deutschen Films. Diesmal ist es Christiane Peitz, die auf Zeit Online unverblümt die Frage stellt: “Warum ist der deutsche Film so schlecht?”

Aber ist er das denn wirklich? Und vor allem, im Vergleich zu was? Welcher Filmindustrie – außer der amerikanischen – geht es eigentlich besser?

Trotz astronomischer Fördersummen schmort auch die französische Filmbranche vor allem in ihrem eigenen Saft. Kaum ein Film, der es über die Landesgrenzen hinaus schafft oder außerhalb Frankreichs ein nennenswertes Publikum findet. “Ziemlich beste Freunde” ist da nur die Ausnahme, die die Regel bestätigt.

Natürlich, es gibt François Ozon, die Dardenne-Brüder (die allerdings Belgier sind), Mathieu Kassovitz oder Patrice Leconte, die mit schöner Regelmäßigkeit Preise gewinnen, aber wir haben Petzold, Dresen, Glasner, Schmid und Tykwer die ebenfalls mit schöner Regelmäßigkeit Preise gewinnen. Internationale Erfolge fahren sie alle nicht ein. Von Jean-Pierre Jeunet oder Luc Besson, die auch außerhalb Frankreichs ein großes Publikum erreichen konnten, hat man schon lange nichts mehr gehört. Weiterlesen

Interview mit William Goldman

Er ist einer der renommiertesten Drehbuchautoren Hollywoods: William Goldman hat zwei Oscars gewonnen und zahlreiche Bücher geschrieben, darunter der äußerst unterhaltsame Blick hinter die Kulissen der Traumfabrik “Adventures in the Screen Trade“. Am bekanntesten ist er sicherlich für sein Bonmot “Nobody knows anything.”

Scott Myers von der Black List hat ein Interview mit dem 82-Jährigen geführt, der nicht nur in Erinnerungen schwelgt sondern immer noch als Drehbuchautor aktiv ist und sich bestens mit aktuellen Filmen auskennt. Das über 90 Minuten lange Gespräch wird etwas langatmig, aber zumindest die ersten 5 Minuten sollte man gesehen haben.

Von Hass- und Identifikationsfiguren

Auf ihrem Blog Bang2Write beschreibt Lucy Hay pointiert wie immer, warum Reese Witherspoons Elle in “Legally blonde” allen Vorurteilen zum Trotz eine hervorragend konstruierte dramatische Figur ist: 3 Reasons, Why LEGALLY BLONDE Is Like, The Best Characterisation Totally, Ever.

In der Tat ist die Figur äußerst interessant, denn – ganz egal wie man zur Farbe rosa steht – eine sympathische Figur ist Elle auf den ersten Blick nicht. Im Gegenteil: sie ist in jeder erdenklichen Weise schrecklich.

Aber dann passiert das Unglaubliche: man fängt trotz allem an, sich für das Schicksal dieser Terror-Blondine zu interessieren. Man nimmt Anteil. Und am Ende des Films ist man ganz und gar auf ihrer Seite.

Das Beispiel zeigt, warum der Begriff der “Identifikationsfigur” so problematisch ist. Sicherlich wird es die eine oder andere Frau geben, die sich mit der dargestellten Elle identifizieren kann – das dürfte aber bei weitem die Minderheit sein. Trotzdem nimmt man Anteil an ihrer Geschichte.

Was eine gute Hauptfigur auszeichnet ist nicht ihr Identifikationspotential und auch nicht ob sie sympathisch ist oder nicht, sondern ob man Anteil an ihrem Schicksal nimmt. Es geht um Empathie, nicht Sympathie.

Empathie entsteht aber nicht durch sympathische – sprich in der Praxis: gefällige – Charakterisierung, sondern durch die Handlung: es geht darum, was der Figur widerfährt und wie sie damit umgeht.

Dieser Unterschied scheint sich bei uns leider noch nicht weit genug herumgesprochen zu haben. Zu oft herrscht nach wie vor die Tyrannei der sympathischen Hauptfigur. Das Beispiel “Legally Blonde” zeigt, dass es auch auch anders geht – auch bei Mainstream-Filmen.

Wie George und Steven auf Indy kamen

Was bei Drehbuchbesprechungen geschieht, dringt selten ans Licht der Öffentlichkeit. Der Grund dafür ist einfach: der kreative Prozess braucht einen geschützten Raum, in dem es möglich ist, auch schlechte Ideen zu äußern, ohne irgendwann schadenfroh darauf festgenagelt zu werden.

Je prominenter die Beteiligten sind, desto stärker wird in der Regel auf Geheimhaltung geachtet. Umso erstaunlicher ist es, dass es ein Transkript einer Brainstorming-Session von zwei der größten Hollywood-Legenden überhaupt gibt: Ende Januar 1978 trafen sich George Lucas und Steven Spielberg für ein paar Tage auf Hawaii, um gemeinsam mit Drehbuchautor Lawrence Kasdan über eine Film-Idee von George Lucas zu sprechen.

In der Geschichte soll es um einen hemdsärmeligen Archäologen gehen, der auf der Suche nach einem Schatz um die ganze Welt reist und dabei von einem Abenteuer ins nächste gerät. Die Rede ist natürlich von “Indiana Jones” und das Transkript kann man unfassbarerweise einfach so hier herunterladen.

Wer nicht die ganzen 90 Seiten des Transkripts studieren will, kann in einem Artikel im New Yorker eine gute Zusammenfassung des Gesprächs der beiden Hollywood-Giganten nachlesen.

Gleich am Anfang beschreibt George Lucas das Grundkonzept des Films, nach dem heute fast jeder Blockbuster gestrickt ist: es soll sich ein großes Set-Piece ans nächste reihen.

“And each cliffhanger is better than the one before”, fügt Spielberg begeistert hinzu. “What we’re doing here, really, is designing a ride at Disneyland”, resümiert er wenig später.

Leicht lesbar ist das Transkript nicht gerade, aber dafür bietet es einen ungeschminkten Einblick in die Arbeitsweise von zwei Filmemachern, die das Kino von heute geprägt haben wie niemand sonst. Ein echter kleiner Schatz.

Werden Komödien immer schlechter?

Über die Krise der Romantic Comedy habe ich bereits hier und hier berichtet. Aber wie sieht es mit der Komödie jenseits der romantischen Verwicklungen aus?

In einem launigen Beitrag auf seinem Blog Scriptshadow stellt sich Carson Reeves eine interessante Frage, die wir uns alle früher oder später stellen: Werden Kinokomödien immer schlechter, oder werden wir einfach nur langsam alt? Oder, wie er es ausdrückt: “What the hell happened to the comedy?”

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Auch wenn es immer populär ist, den Niedergang kultureller Errungenschaften oder am besten gleich des ganzen Abendlandes zu beklagen – ich tippe eher auf letzteres. Reeves vergleicht die Komödien der letzten fünf Jahre mit denen der 90er und stellt die Behauptung auf, dass es im Gegensatz zu den letzten Jahren in den 90ern jedes Jahr zumindest eine Komödie zum “Klassiker” gebracht hat.

Dass an “Groundhog Day” praktisch keine Komödie mehr herangekommen ist – geschenkt. Aber sind “Get Shorty”, “American Pie” oder “Liar, Liar” wirklich um Klassen besser als “Bridesmaids”, “The Hangover” , oder “Ted”? Gerade die letzten beiden haben durchaus das Zeug zum Klassiker, zumindest nach Reeves’ Maßstäben.

Allerdings hat Reeves einen Punkt, wenn er feststellt, dass erfolgreiche Kinokomödien in letzter Zeit verstärkt auf Gags – gerne in Bezug auf Körperflüssigkeiten – und Sketche und weniger auf eine überzeugende Geschichte und komplexe Figuren setzen – Stichwort Apatowisierung der Komödie.

Natürlich hat es diese Form von clownesken Slapstick-Komödien schon immer gegeben, angefangen von den Marx Brothers über Monty Python bis hin zu Jim Carey oder eben Judd Apatow.

Neben diesen gag-zentrierten Komödien gab es aber auch immer etwas leisere, figuren-orientierte Komödien, die bei aller Komik meist auch einen starken dramatischen Konflikt erzählten: neben “Groundhog Day” kommen Filme wie “Tootsie”, “Big”, “Mrs. Doubtfire” oder “Forrest Gump” in den Sinn. Zwar gab es auch in den letzten Jahren wunderbar feinsinnige Komödien wie “Little Miss Sunshine”, “Juno” oder “Silver Linings Playbook” – aber die blieben auf ein sehr viel kleineres Arthouse-Publikum beschränkt. Eine Ausnahme stellt da sicherlich der französische Film “Ziemlich beste Freunde” dar, der bezeichnenderweise reihenweise Besucherrekorde gebrochen hat.

Solche “erwachsenen” High-Concept-Komödien, die mehr auf eine berührende Geschichte als auf ein Feuerwerk an Gags setzen und trotzdem ein breites Mainstream-Publikum erreichen, waren in den letzten Jahre tatsächlich selten. Die Frage ist nur: waren sie das nicht schon immer? Die Liste an “Klassikern”, die Carson Reeves anführt, überzeugt mich jedenfalls nicht.

Und wie sieht es im deutschen Kino aus, wo die Komödie neben dem gelegentlichen Nazi-Drama ohnehin das einzig Erfolg versprechende Genre ist?

Allen Unkenrufen zum Trotz scheint mir die deutsche Komödie erstaunlich breit aufgestellt zu sein.

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Die mit Abstand erfolgreichsten deutschen Filme waren gag-orientierte Komödien von prominenten Komödianten wie Otto, Loriot und Bully Herbig oder ähnlich gelagerte Filme wie zuletzt “Türkisch für Anfänger”. Im Bereich RomCom gab es in den 90er Jahren eine ganze Reihe von Beziehungskomödien und in den letzten Jahren die überaus erfolgreichen romantischen Komödien von Til Schweiger und Mathias Schweighöfer. Der Arthouse-Bereich war mit Filmen wie “Almanya”, “Vincent will Meer”, “Wer früher stirbt ist länger tot”, “Alles auf Zucker!”, “Herr Lehmann” und “Sommer vorm Balkon” stärker vertreten, als man auf den ersten Blick meinen würde.

Die erfolgreichsten figuren-orientierten High-Concept-Mainstream-Komödien waren zuletzt wohl “Good Bye, Lenin!”, “Sonnenallee” und “Rossini”. Die sind alle schon ein paar Jährchen her. Aber damit sind sie offenbar in guter Gesellschaft.

David Mamet über Wahrheit und Drama

Der Autor und Regisseur David Mamet untersucht anlässlich seines neuen Films “Phil Spector” in einem grossartigem Essay auf der wunderbaren Website  Medium.com die Frage nach dem Wesenskern des Dramas.

Ein Drama ist seiner Meinung nach umso stärker, je unbequemer die Wahrheit ist, die es aufdeckt – und die entscheidende Erkenntnis liegt nicht so sehr in der Antwort auf die Frage, die das Drama stellt, sondern vielmehr im Aufdecken der richtigen Frage.

Das ist wunderbar auf den Punkt hinsichtlich der Wirkungsweise einer dramatischen Erzählung. Ironischerweise wird Mamets Umgang mit der Wahrheit des von ihm erzählten Falls allerdings von vielen Beteiligten heftig angegriffen. Die Wahrheit des Dramas ist eben nicht immer die Wahrheit des Erzählten.

Mehrteiler versus Serien

Mit “Das Adlon” und “Unsere Mütter, unsere Väter” erlebt der Fernseh-Mehrteiler in Deutschland gerade eine kleine Renaissance. Gerade bei letzterem, der ja als eine Art deutscher “Band of Brothers” konzipiert und rezipiert wurde, stellt sich die Frage, warum die Form von drei mal 90 Minuten gewählt wurde und nicht etwa die einer sechs-teiligen Serie mit beinahe gleicher Gesamtlauflänge. Oder, wenn man schon dabei ist, warum man nicht eine komplette 12-teilige Serie daraus gemacht hat. Der Stoff hätte es sicherlich hergegeben.

Thomas Lückerath argumentiert in einem Beitrag auf dwdl.de, dass es im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern in Deutschland keine Tradition der Serie gäbe.

Zwar gibt es in Deutschland durchaus eine Serientradition, allerdings eher am Vorabend. Und für den ist ein Stoff wie “Unsere Mütter, unsere Väter” sicherlich denkbar ungeeignet. In der Primetime gib es für eine 50-minütige Serie im Programmschema der Öffentlich-rechtlichen aber einfach keinen Platz.

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Auch wenn der Einzelspielfilm, den es in dieser Form im Fernsehen fast nur in noch in Deutschland gibt, seinen eigenen Charme hat – die Serie ist sicherlich die für das Fernsehen ureigenste Form, auch weil sie ökonomisch am sinnvollsten ist: mit “Unsere Mütter, unsere Väter” als Serie hätte das ZDF ganze sechs Abende hervorragend bestücken können, mit allen positiven Effekten für das Begleitprogramm. More bang for the buck, würde der Amerikaner sagen.

Natürlich ist eine sechs-teilige Serie aber letztlich auch nur eine “halbe Serie” – um die 12 Folgen pro Staffel sind mehr oder weniger internationaler Standard. Eine volle 12-teilige Serie mit dem production value von “Unsere Mütter, unsere Väter” zu beauftragen, übersteigt momentan aber sicherlich den Risiko-Appetit sämtlicher Sendeverantwortlicher in Deutschland – verständlicherweise, denn schon mit den drei mal 90 Minuten hat man sich für hiesige Verhältnisse sehr weit aus dem Fenster gelehnt.

Aber vielleicht löst ja der große internationale Erfolg der anspruchsvollen Primetime-Serie auch in deutschen Filmredaktionen ein gewisses Umdenken aus. Zu wünschen wäre es. Denn es wäre schade, wenn das “Goldene Zeitalter der Serie” an Deutschland völlig spurlos vorübergeht.