»Breaking Bad«, die Dänen und wir

BreakingBad

 

Der Ruf deutscher Fernsehfilme und insbesondere deutscher Serien ist nicht gerade der Beste. Gern wird dabei immer wieder auf die tollen amerikanischen Qualitätsserien à la “Mad Men”, “Breaking Bad” oder “Homeland” verwiesen und die Frage gestellt, warum wir sowas in Deutschland nicht auch hinkriegen.

Mit viel Lust und Polemik haut der “Spiegel” in seiner aktuellen Ausgabe in dem Artikel “Im Zauderland” mal wieder in genau diese Kerbe. Mit neuen Informationen können Georg Dietz und Thomas Hüetlin nicht aufwarten, stattdessen beten sie mal wieder gebetsmühlenartig die alte Leier von den erstklassigen amerikanischen und den miesen deutschen Serien herunter. Damit machen sie es sich nicht nur zu einfach, sie verpassen auch die eigentlich interessante Geschichte dahinter.

Zum einen erwähnt der Spiegel-Artikel mit keinem Wort einige Serienerfolge der letzten Jahre, die nicht nur ein großes Publikum gefunden, sondern auch massenhaft Preise eingeheimst haben: die Rede ist von “Doctor’s Diary”, “Danni Lowinski” oder auch dem “Tatortreiniger”. Auch eine Mini-Serie wie “Das Adlon” braucht sich nicht hinter “Downton Abbey” zu verstecken.

Natürlich kann man “Doctor’s Diary” und “Danni Lowinski” nicht mit “Breaking Bad” vergleichen. Die Frage ist nur: warum wird das dann die ganze Zeit getan?

Äpfel und Birnen

Dass die viel gerühmten amerikanischen Serien ausschließlich von Pay-TV-Sendern produziert werden, hat sich inzwischen weitgehend herumgesprochen. Dass diese Serien aber von vornherein nicht für ein Mainstream-Publikum konzipiert sind, sondern sich erklärtermaßen an ein kleines Nischenpublikum richten, erwähnt der Spiegel-Artikel mit keinem Wort.

Keine einzige dieser sogenannten Qualitätsserien läuft auf einem der großen amerikanischen Networks ABC, NBC oder CBS – den Pendants zu den deutschen Free-TV-Sendern. Stattdessen läuft da, was größtenteils auch bei uns läuft: bei ABC “Lost”, “Private Practice”, “Suburgatory” und “Modern Family”, bei CBS “The Big Bang Theory”, “2 Broke Girls”, “Two and a half Men”, “How I met your mother”, “Navy CIS” und “The Good Wife”, bei NBC “30 Rock”, “The Office” und “Parks and Recreation”. Gutes Handwerk, ja. Aber Qualitätsserien? Keine Spur. (Update ((Viele Leser haben zu Recht diese polemische Vereinfachung kritisiert. Unter den genannten Serien sind natürlich ganz hervorragende Produktionen. “Qualitätsserien” ist der Begriff der Spiegel-Autoren für das, was eigentlich treffender als “Arthouse-Serie” bezeichnet werden sollte und hätte hier zumindest in Anführungsstriche gesetzt werden müssen.)) )

Eine Serie wie “Breaking Bad” mit “Um Himmels Willen” zu vergleichen und in einer Tour zu lamentieren, wie viel schlechter letztere doch gegenüber der ersten ist, geht also völlig an der Sache vorbei.

Als Drehbuchautor stehe ich zu dem Diktum, dass man sich eine gute Story niemals von Fakten kaputtmachen lassen sollte. Von “Spiegel”-Redakteuren erwarte ich allerdings andere Maßstäbe. Und beharrlich Äpfel und Birnen miteinander zu vergleichen, ist alles andere als eine gute Story.

Show me the numbers

Um zu verstehen, warum die gelobten amerikanischen Qualitätsserien im Pay-TV laufen und nicht bei den großen Free-TV-Sendern in den USA oder in Deutschland, ist es hilfreich, sich einmal die Zuschauerzahlen anzusehen.

Bei seiner Premiere auf AMC hatte “Mad Men” gerade einmal 900.000 Zuschauer. Bis zum Ende der zweiten Staffel steigerte sich die Serie auf  1,75 Mio. Mit den Wiederholungen am Vormittag und Nachmittag kam das Finale der zweiten Staffel auf kumulative 2,9 Mio. Zuschauer. Bei “Breaking Bad” und “Homeland” sehen die Zahlen ähnlich aus: Bei der Premiere mit um die 1 Mio. Zusehern gestartet, erreichen sie kumulativ inklusive Wiederholungen Bestwerte von knapp 3 Mio. Zusehern. Das ist in etwa ein Drittel oder sogar nur ein Viertel von dem, was die Erstausstrahlung eines durchschnittlichen “Tatorts” in Deutschland bringt – in einem Markt, der fast viermal größer ist!

Die interessante Frage dabei ist, wie sich “Mad Men” und Co bei diesen niedrigen Zuschauerzahlen für die auftraggebenden Sender überhaupt rentieren.

Die Antwort ist kompliziert und, um es vorwegzunehmen, sie hat nichts mit der DVD-Auswertung der Serien zu tun. Diese ist ein schönes Zusatzgeschäft, fließt aber bei keiner Fernsehproduktion in die Kalkulation mit ein, weil einfach nicht absehbar ist, ob es jemals zu nennenswerten Verkäufen kommen wird.

Wie man in einem aufschlussreichen Artikel in der New York Times nachlesen kann, liegt der Grund vielmehr in der monopolistischen Struktur des amerikanischen Kabelmarktes, der durch gesetzliche Regelungen aufgebrochen werden sollte. Das hat zwar nicht geklappt, aber es hat dazu geführt, dass die großen Kabelnetzbetreiber kleinen Pay-TV-Sendern Gebühren dafür zahlen müssen, dass sie ihr Programm im Kabel verbreiten.

Das raffinierte Geschäftsmodell, das die amerikanischen Pay-TV-Sender entwickelt haben, besteht darin, Serien für eine kleine, aber lautstarke Minderheit zu produzieren und von den Kabelnetzbetreibern immer höhere Gebühren zu verlangen. Zwar könnten die Kabelnetzbetreiber sich weigern, höhere Gebühren zu bezahlen, dann dürften sie aber das Programm der Sender nicht mehr verbreiten, mit der Folge, dass die meinungsstarken Fans dieser Serien ihnen die Hölle heiß machen würden. Also zahlen sie. Im Fall von AMC sind das inzwischen 30 Mio. Dollar. Im Monat! ((Mitleid mit den Kabelnetzbetreibern muss man deshalb nicht haben, sie fahren trotzdem Milliardengewinne mit Gewinnmargen von um die 50 Prozent ein – das Leben kann schön sein, wenn man ein Monopol hat.))

Dieses Geschäftsmodell ist so erfolgreich, dass unter den Pay-TV-Sendern inzwischen eine Art Überbietungswettbewerb ausgebrochen ist, in dem es nicht mehr darum geht, wer die meisten Zuschauer, sondern wer die treuesten Fans hat. Auf diese Weise bezahlen Millionen von Kabelfernsehkunden, die nie “Mad Men” oder “Breaking Bad” gucken, diese Serien mit.

“This business model, perhaps as much as artistic creativity, is responsible for TV’s current golden age.” ((NYT: “The ‘Mad Men’ Economic Miracle”))

An der Frage, wie man in einem Markt, in dem allein die Masse zählt, trotzdem anspruchsvolles Programm machen, wie man also Qualität und Quote miteinander vereinen kann, scheitern die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland mit schöner Regelmäßigkeit. Ausgerechnet die Struktur der amerikanischen Kabellandschaft macht aber genau das möglich: die große Masse zahlt ohne zu Murren für das Qualitätsprogramm einer kleinen Minderheit.

Nun ist diese sehr spezifische Marktsituation nicht so ohne weiteres in Deutschland oder irgendeinem anderen Land reproduzierbar. In Deutschland ist die Situation sogar genau andersherum wie in den USA: hier zahlen die Fernsehsender bislang dafür, dass sie ihr Programm im Kabelnetz verbreiten dürfen – eine Situation die die ARD ändern will, weshalb sich nun die Gerichte damit beschäftigen.

Eine ganz und gar ausweglose Situation also? Beinahe. Wären da nicht die Dänen.

Das Beispiel der Dänen

Mit “Borgen – Gefährliche Seilschaften” und “Kommisarin Lund” hat Dänemark vorgemacht, wie man erstklassige TV-Serien auch in Europa machen kann. Produziert werden die Serien von Danmarks Radio (DR), der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt des Landes, die sich ausschließlich über eine Pflichtgebühr finanziert und gänzlich auf Werbung verzichtet.

Ein schöner kleiner Artikel in “Le Monde” (deutsche Übersetzung) beschreibt, wie es zu diesem kleinen Fernsehwunder gekommen ist. Auch der “New Yorker” beschäftigt sich in einem ausführlichen Artikel mit dem dänischen Phänomen (“Danish Postmodern” – Abonnement erforderlich). Denn die dänischen Serien werden nicht nur hoch gelobt, sie bannen auch regelmäßig ein Drittel der Bevölkerung des kleinen Landes vor den Bildschirm. Da kommt nicht mal der deutsche “Tatort” mit.

Was ist das Geheimnis hinter dem dänischen Erfolg? Die Autorinnen beider Artikel kommen zum gleichen Schluss: mehr Freiheit und Unabhängigkeit für die Autoren.

“The first hallmark of the Danish way is a principle that DR calls ‘one vision’. This means, essentially, that the writer is king. A ten-episode season of a show like “Borgen” is made on a relatively small budget of about eight million dollars, but DR lavishes its writers with time and indulgence. An incubation period of several years is customary. ‘I think it’s very important that every one of us stands guard around the author’s mission,’ Morten Hesseldahl told me. ‘It’s a romantic impression of how the artist should work.'” ((The New Yorker: “Danish Postmodern”, S.27))

Wer nach dem Lesen dieser Zeilen Tränen in den Augen hat, ist mit großer Wahrscheinlichkeit Drehbuchautor in Deutschland.

Aber natürlich erklärt sich nicht der ganze Erfolg des dänischen Modells durch eine Stärkung der Stellung des Autors – oder besser der Autoren, denn wie die Amerikaner haben die Dänen erkannt, dass das einsame Geschreibsel einzelner Drehbuchautoren unter ständigem Störfeuer gutmeinender Ahnungsloser zumindest beim seriellen Erzählen der gebündelten Kreativkraft eines inhaltlich weitgehend unabhängigen Writers’ Rooms weit unterlegen ist.

Mindestens genauso wichtig ist das Selbstverständnis der Senderverantwortlichen: “When you are a public broadcaster, you not only want to educate the public, you want to help them to be wise”, sagt der Kulturverantwortliche des Senders, Morten Hesseldahl. ((The New Yorker: “Danish Postmodern”, S.24)) Verantwortliche deutscher öffentlich-rechtlicher Sender sprechen in ihren Sonntagsreden zwar auch gern von ihrer gesellschaftlichen Verantwortung, in der Rubrik Spielfilm&Serie einer Programmzeitschrift findet sich davon aber herzlich wenig wieder.

Bei allem Sendungs- und Qualitätsbewusstsein – Serien wie “Breaking Bad”, “Mad Men” oder “Homeland” wird es auch bei Danmark Radio nicht geben: “You couldn’t make ‘Breaking Bad’ at DR”, gibt “Borgen”-Co-Autor Gjervig Gram unumwunden zu und DRs Fiction-Chefin Nadia Kløvedal erklärt unmissverständlich:

“Our job is not to be avant-garde. Our job is to tell some damn good stories that have a huge identification and, at the same time, tell us something about the society we live in.” ((The New Yorker: “Danish Postmodern”, S.28))

Der Rest ist Handwerk

Niemand erwartet von Privat-Sendern ein Bekenntnis zu gesellschaftlicher Relevanz. Das ist weder ihr Auftrag noch ihre Aufgabe. Wohl aber müssen sich die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland die Frage gefallen lassen, warum sie die private Konkurrenz vor allem im Bereich der Serie allzu oft an Seichtheit geradezu zu unterbieten trachten. “Die Quote ist eine Verabredung, auf die man sich einigen kann”, wird BR-Fernsehdirektorin Bettina Reitz im “Spiegel” zitiert. “Wenn wir das aufkündigen würden, ist die Angst groß, die Legitimation innerhalb von Politik und Gesellschaft zu verlieren”. ((Spiegel 5/2013: “Im Zauderland”, S. 132))

Natürlich besteht für ein durch Gebührengelder finanziertes Rundfunksystem die Gefahr, bei zu geringer Zuschauerakzeptanz seine Daseinsberechtigung zu verlieren. Diese Gefahr besteht aber auch dann und vielleicht sogar noch eher, wenn sein Programm kaum mehr von dem der privaten Konkurrenz unterscheidbar ist. Und das ist im fiktionalen Bereich inzwischen viel zu oft der Fall.

Im Vergleich mit Danmark Radio wird deutlich, woran es den öffentlich-rechtlichen Sendern in Deutschland mangelt: einem klaren, offensiv zur Schau gestellten Bekenntnis zur Qualität. In den Köpfen der Senderverantwortlichen muss endlich ein Paradigmenwechsel stattfinden, weg vom Quotenbewußtsein, hin zum Qualitätsbewusstsein.

Das Beispiel der Dänen zeigt, dass man mit einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk durchaus anspruchsvolle und gleichzeitig publikumswirksame Serien herstellen kann – wenn der Wille dafür da ist, geeignete Strukturen existieren und den inhaltlich Verantwortlichen genügend Freiräume gelassen werden. Der Rest ist, wie man so schön sagt, Handwerk.

Wäre es nicht schön, wenn auch in Deutschland mal ein Senderverantwortlicher den Mut zu so einem Experiment hätte? Es könnte sich lohnen – für alle Beteiligten.

Thilo Röscheisen

Update: Wer sich mehr für das Thema interessiert – hier ist ein umfassender Artikel zum Thema HBO und Pay-TV in Amerika aus dem “Economist”.